Ob in der Alten- oder Krankenpflege: die Arbeit ist da, aber das nötige Personal fehlt. Gesundheitsminister Jens Spahn sucht 50.000 zusätzliche Kräfte, zusammen mit Arbeitsminister Hubertus Heil und Familienministerin Franziska Giffey hat er eine Konzertierte Aktion ins Leben gerufen. Sie soll in fünf Arbeitsgruppen den Weg bahnen und dabei 43 gesellschaftliche Partner einbinden. Wie die Welt schreibt, will er im Kampf gegen die Personalnot unter anderem gezielt Fachkräfte in Südosteuropa anwerben. Besonders im Kosovo und in Albanien gebe es ein hohes Potenzial an jungen Fachkräften, sagte der Bundesgesundheitsminister. „Dort ist die Pflegeausbildung häufig besser, als gedacht.“ Das ist richtig, aber über die Sprachbarrieren hinaus nicht unproblematisch, kommentiert Thomas Adolph vom führenden Vergleichsportal www.gesetzlichekrankenkassen.de.
„Wenn über die Grenzen hinweg forciert angeworben wird, wird der Pflegenotstand letztendlich nur verlagert.“ Der eigens zur Vermeidung dieses Dilemmas verabschiedete Kodex der Vereinten Nationen sei bei dieser Form der „Exportförderung“ nur eine vage Hilfe.
Das Pflegekraft-Roulett
Wer gut zahlt, zieht an – und Personal an Land
Das Anwerben von Personal ist längst globalisiert und wird von den Industrienationen, speziell den früheren Kolonialmächten, weitgehend unbeachtet betrieben. Laut WHO hat weltweit der grenzüberschreitende Personalwechsel im Gesundheitsbereich bereits in den zurückliegenden Jahren um 60 Prozent zugenommen. Wie der Kassenexperte überspitzt klarmacht, funktioniert das Pflegeroulette in etwa nach dem Prinzip: Norwegen wirbt von Schweden Pflegekräfte ab, Schweden akquiriert in Deutschland, Deutschland rekrutiert in Spanien und Spanien bedient sich in Rumänien und so fort. „Ein endloser Kreislauf… der nicht auf Europa beschränkt ist“, sagt Adolph. Schließlich führt jeder Abfluss zu einem Bedarf im Geberland, der nach Auffüllung verlangt. Dazu kommen Migrationsbewegungen im Inland durch Gehaltsgefälle. In Deutschland beispielsweise verdiene ein Altenpfleger in Thüringen um 2.000 Euro im Monat, in Baden-Württemberg jedoch im Schnitt 2.700 Euro.
WHO-Verhaltenskodex geht ins Leere
Nur ungeschickt angestellte Abwerbung wird belangt
Die Personalbeschaffung aus dem Ausland „ist trotz aller Lippenbekenntnisse ein zweischneidiges Schwert“, sagt der Kassenexperte. Denn das formale Verbot, in 57 Ausschlussländern aktiv für einen Umzug zu werben, ist weder vor Ort nachprüfbar noch schließt es ein Darstellen der Vorzüge aus. Adolph: „Nach derzeitiger Gesetzeslage kann die ordnungswidrige aktive Anwerbung von Pflegekräften beispielsweise in Indien oder Kenia bis zu 30.000 Euro Strafe kosten. Jeder Inder oder Kenianer darf aber auf eigene Initiative nach Deutschland aufbrechen um dort zu arbeiten.“ Grundsätzlich unterscheide sich die Problematik im Kosovo und in Kenia nur graduell. Wie der Gesundheitsminister bemängelt, gibt es aber sogar in den von ihm genannten Wunschländern erhebliche Probleme bei der Visavergabe. „Diese ausgebildeten Fachkräfte müssen oft zehn Monate auf ein Visum für Deutschland warten“, schimpft Spahn laut „Der Welt“. Das lasse ihn verzweifeln und man müsse diese Abläufe beschleunigen. Auch die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse dauere zu lange.
Sogwirkung wird unterschätzt
Industrienationen greifen überall Pflegepersonal ab
Speziell in armen Nationen mit gutem AusbildunIngsstandards führt der Nachfragesog der etablierten Industrienationen zum Massenexodus der dringend im eigenen Land benötigten Kräfte. Warnende Beispiele dafür sind Adolph zufolge Ghana, Nigeria und Mozambik, die jeweils viel Geld und Anstrengung in die Qualifizierung ihrer Pflegekräfte gesteckt haben – so viel, dass Schwestern und Pfleger überall in der Welt begehrt sind. Jede zweite Absolvent der Ghana Medical School oder ähnlicher Einrichtungen ist dabei zu emigrieren, in Nigeria gibt es „eine Kultur der Abwanderung“, die junge Menschen bereits bei der Berufswahl stark beeinflussen und auch in Mozambik wandert jeder vierte aus oder verdingt sich bei einer ausländischen Hilfsorganisation. Headhunter und Personalagenturen reisen gezielt in arme Länder, nicht um Arbeitskräfte abzuwerben, da dies ja laut WHO-Statut ungesetzlich wäre, sondern um sie, was erlaubt ist, über die vorteilhaften Arbeitsbedingungen in anderen Ländern zu informieren und ihnen Hilfe bei der Umsiedlung anzubieten.
Gesundheitsminister Spahn will Pflegekraefte aus Albanien und dem Kosovo anwerben (Quelle: www.welt.de)
Studie zur Migration von Fachpersonal (Quelle: www.ncbi.nlm.nih.gov)
UAPS-Studie Nurses’ International Migration and the Crystallizing ‘Culture of Exile’ in Nigeria (2015) (Quelle: aps.journals.ac.za)
Siehe auch:
Pfleger-Not macht erfinderisch - Die Pläne klingen harmlos, sind aber durchaus kritikabel