Politiker müssen überzeugen. Rechnen können müssen sie. „Diesem Eindruck kann man sich mittlerweile nicht mehr entziehen, wenn man das Geschachere um die Fortsetzung der großen Koalition nüchtern betrachtet“, urteilt Thomas Adolph vom führenden Vergleichsportal www.gesetzlichekrankenkassen.de etwas resigniert. Es kann nicht angehen, verloren gegangene Wähler mit Geschenken aus den Sozialkassen zu ködern. Wie die „Rheinischen Post“ berichtete, beliefen sich Ausgabenwünsche der einzelnen Fachgruppen mittlerweile auf rund 100 Milliarden Euro. Sie liegen damit weit über dem auf 45 Milliarden Euro bezifferten Spielraum für Mehrausgaben in der Wahlperiode bis 2021 – und sind genau genommen das Geld der Kassenmitglieder und Steuerzahler.
„Wie die gesetzliche Rentenversicherung, die Pflegekasse und das Gesundheitswesen in zehn oder 20 Jahren dastehen, hängt von den heutigen Weichenstellungen ab“, hatte Dorothea Siems in einem Leitartikel der Zeitung „Die Welt“ konstatiert. „All diese Systeme beruhen auf dem Versprechen, dass die Jüngeren die Älteren alimentieren, denn anders als bei privaten Versicherungen gibt es in den staatlichen Sozialsystemen keine Kapitaldeckung.“ Das mag zwar verlockend sein, weil die Generation 50 plus bereits die Mehrheit der Wähler stellt und dieses Ungleichgewicht weiter zunehmen wird. Ein ähnliches Übergewicht belastet sich laut Thomas Adolph auch die Behandlungskosten des überwiegend von gesetzlichen Kassen getragenen Gesundheitssystems. Es werde aber nur sehr zurückhaltend thematisiert. Generell müsse man die veröffentlichten Zahlen kritisch auf ihre Stichhaltigkeit überprüfen.
Klingt günstiger, ist aber für die meisten teurer
Kassenbeitrag steigt bereits bei mittlerem Verdienst an
Kleine Augenwischereien sind längst an der Tagesordnung. Beispiel dafür ist in der Krankenversicherung die medienwirksame Senkung des Zusatzbeitrags um 0,1 Prozent. „Weil aber gleichzeitig die Beitragsbemessungsgrenze, bis zu der das Einkommen damit belastet werden darf, gestiegen ist, zahlen viele statt 682,95 Euro wie im Jahr 2017 nun 690,30 Euro“, rechnet der Kassenexperte nach. Die Erhöhung sei zwar geringfügig. Angesichts einer Beitragsbemessungsgrenze von 59.400 Euro p.a. betreffe sie aber keineswegs nur die Spitzenverdiener. Weil die durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgelte 2017 bundesweit um 2,4 Prozent gestiegen sind, kletterte die Kappungsgrenze von 4.350 Euro auf 4.425 Euro. Ob und wie viel im Einzelfall gespart werden könne, hängt laut Adolph aber von der Kassenwahl ab ((Link auf die entsprechende Seite bei Dir)), da (noch) die Zusatzbeiträge von Anbieter zu Anbieter differieren. Ähnliche stillschweigende Erhöhungen sind, wie das Institut der Deutschen Wirtschaft (iwd) berichtete, trotz exzellenter Beschäftigungslage auch bei Renten- und Arbeitslosenversicherung zu beobachten. Der Kernsatz: „Die steigenden Sozialabgaben in höheren Entgeltgruppen können 2018 nicht durch die Entlastungen bei den Beitragssätzen kompensiert werden.“
Leitartikel von Dorothea Siems in „Die Welt“ (Quelle: www.welt.de)
Fehlender Handlungsdruck
Gesundheitssystem mit Best-Noten
Von einem Handlungsdruck wie in den Koalitionsgesprächen ist in der Wirklichkeit der deutschen Gesundheitsversorgung wenig zu spüren. Und wie die vdek-Vorstandsvorsitzende Ulrike Elsner unlängst sagte, geht auch die künstlich hochgespielte Debatte um die „Zwei-Klassen-Medizin“ ziemlich eindeutig an der Realität vorbei. „Von einer systematischen Schlechterbehandlung der GKV-Patienten kann schon aufgrund der hohen Zufriedenheit der deutschen Kassenmitglieder nicht die Rede sein“, sagte Elsner bei der Vorstellung einer aktuellen Forsa-Umfrage zu diesem Thema. In Sachen Versorgungsqualität habe die GKV mit ihren Bewertungs- und Qualitätssicherungsverfahren deutlich die Nase vorn.
Neun Zufriedene und ein Miesepeter
Forsa-Umfrage fällt zu 85 Prozent positiv aus
Grundsätzlich sind die Deutschen mit ihrer Behandlung im Krankheitsfall zufrieden. „Das stellt die gerade veröffentlichte Umfrage des Verbands der Ersatzkassen (vdek) unzweifelhaft klar“, berichtet Thomas Adolph vom führenden Vergleichsportal www.gesetzlichekrankenkassen.de. Diese Forsa-Umfrage unter 1.000 GKV-Versicherten habe ergeben, dass 85 Prozent der Menschen keinen akuten Änderungsbedarf sehen und zufrieden sind. Fast ein Drittel der Befragten war sehr zufrieden, schlüsselt der Kassenexperte auf, über die Hälfte (55 Prozent) habe sich immerhin zufrieden gezeigt. Wie Adolph weiter berichtet, habe die Mehrheit der Befragten auch für die Leistungsprinzipien der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) lobende Worte gehabt. Adolph: „Besonders geschätzt wird die kostenfreie Familienversicherung, das Sachleistungsprinzip und die weitgehend solidarische Beitragserhebung.“ Aus den Umfrageergebnissen lasse sich also alles andere herauslesen, als eine Aufforderung zum Systemwechsel und zu einer Bürgerversicherung, welche die letztgenannten Prinzipien nicht friktionsfrei beibehalten könnte.
Stadt-Land-Gefälle
Praxisfülle in den Metropolen, Arztmangel im Grünen
Die Befragten gehen aber nicht unkritisch mit dem deutschen Gesundheitswesen um. So zeigte sich eine deutliche Zufriedenheitskluft zwischen Stadtmenschen und Landbewohnern. „Die Studie weist auf deutliche Unterschiede zwischen der städtischen und der ländlichen Bevölkerung hin“, erklärt der Kassenexperte. „Jeder vierte Befragte aus einer ländlichen Region ist mit der Versorgung unzufrieden.“ In den Städten seien es nur zwölf Prozent, also um mehr als das Doppelte weniger. Zur Abhilfe sei eine gewisse Steuerungswirkung durch Anreize wünschenswert, aber bishernur mit mäßigem Erfolg. So erhalten junge Ärzte in ländlichen Regionen beispielsweise über die Strukturfonds Umsatzgarantien, Sicherstellungszuschläge und Investitionskostenhilfen. Die Die GKV zahlt zudem alljährlich über 100 Millionen Euro für nicht-ärztliche Praxisassistenten, die Haus- und Fachärzte entlasten.
Die vdek-Vorstandsvorsitzende Elsner forderte zusätzlich mobile Fahrdienste und medizinische Versorgungszentren auszubauen, verstärkt Praxisassistenzen einzusetzen und die Möglichkeiten der Digitalisierung, wie Videosprechstunden konsequent zu nutzen. Wie das Ärzteblatt unlängst berichtete, ist dieser Service aber kein Allheilmittel und werde auch aus juristischen Gründen erst zögern angeboten. Patienten ausschließlich aus der Ferne zu behandeln, sei laut Berufsordnung nicht erlaubt. „Wenn ein Arzt seine Patienten jedoch kennt und sie etwa bei leichten Erkrankungen oder Routinefällen telemedizinisch behandelt, dann sind die bequemen, schnellen und effizienten Informations- und Kommunikationsprozesse ausdrücklich zu begrüßen“, lautete die Stellungnahme der Landesärztekammer Hessen.
Keiner will warten
Kritikpunkt Termin-Vergabe
Kniffelig ist die Situation auch beim Thema Wartezeit. „Für viele gesetzlich Versicherte sind die Wartezeiten für einen Facharzt-Termin ein Ärgernis“, stellt Thomas Adolph fest. Doch das sei Jammern auf hohem Niveau. Warnend verweist der Kassenexperte auf die Probleme hin, die sich aktuell in einem rein staatlich gesteuerten Gesundheitssystem wie dem Großbritanniens zeigen. Wie das Ärzteblatt Anfang Januar berichtet hatte, wiesen Ärzte aus 68 britischen Krankenhäusern in einem offenen Brief an Premierministerin Theresa May auf teils katastrophale Zustände im staatlichen Gesundheitssystem hin. Selbst Notfallpatienten seien betroffen und in oft überfüllten Kliniken sterben Kranke sogar auf Korridoren. Die staatlichen Krankenhäuser seien chronisch unterfinanziert, die katastophalen Zustände trotz größter Bemühungen der Mitarbeiter nicht einzudämmen. In einigen Notfallaufnahmen warteten mehr als 50 Patienten gleichzeitig auf ein Bett heißt es in dem im Health Service Journal veröffentlichten Brandbrief.
„Von solchen Zuständen sind wir in Deutschland meilenweit entfernt“, beruhigt der Kassenexperte. Trotzdem seien Verbesserungen wünschenswert, diese seien aber nicht durch eine Vereinheitlichung der Arzt-Honorare wie in den Koalitionsgesprächen gefordert zu erreichen. Die vdek-Vorstandsvorsitzende sieht primär die Kassenärztlichen Vereinigungen in der Pflicht. „Wenn die Ärzte ihrem Sicherstellungsauftrag nicht nachkommen, muss gesetzgeberisch nachgeschärft werden.“ Auf den Prüfstand gehöre beispielsweise die Vorschrift, der zufolge in Vollzeit tätige Ärzte nur 20 Stunden Sprechzeit pro Woche anbieten müssen.
Statement der vdek-Vorstandsvorsitzenden Ulrike Elsner (Quelle: www.vdek.com)
Forsa-Umfrage zu Einstellungen der Bevölkerung zur GKV-Finanzierung und medizinischen Versorgung (Quelle: www.vdek.com)
Streit um Videosprechstunde im Ärzteblatt (Quelle: www.aerzteblatt.de)
Britische Ärzte schlagen Alarm (Quelle: www.aerzteblatt.de)