In der Patientenversorgung liegt einiges im Argen. Die Deutschen werden nach qualitativen Maßstäben nicht so gut behandelt wie nach quantitativen. Im Klartext bekommen sie nicht selten Medikamente, Untersuchungen und Operationen verabreicht, die sie medizinisch nicht nötig hätten, die aber das Anspruchsdenken der Patienten befriedigen oder den Leistungserbringern bessere Erträge bringen. Eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung geht der Überversorgung auf den Grund. Nahezu zeitgleich beleuchtet auch der Policy Brief der Monopolkommission dieses Thema in Hinblick auf das Faire-Kassenwettbewerb-Gesetz des Bundesgesundheitsministeriums.
Verplemperte Millionen
Deutschland leistet sich zu viele Krankenhäuser
Mit zuletzt 11,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gibt die Bundesrepublik mehr Geld für die Gesundheit aus als irgendein anderes Land der EU. Allerdings zahlt die Schweiz mit 9762 Franken pro Kopf und Jahr mehr als das Doppelte der Gesundheitsausgaben von 3.996 Euro hierzulande. „Das relativiert etwas die 43 Prozent Mehrausgaben zum EU-Schnitt, welche die Bertelsmann-Studie anprangert“, sagt Thomas Adolph vom führenden Vergleichsportal www.gesetzlichekrankenkassen.de. Allerdings liege Deutschland mit 806 pro 100.000 Einwohner (2016) der höchsten Dichte an Krankenhausbetten unbestritten weit vorn, die Schweiz nur 455. Wie der Kassenexperte einräumt, spiegelt sich die hohe Versorgungsdichte aber leider nicht in einer ebenso exponierten Gesundheit nieder. Adolph: „Nutzt man zur Messung die durchschnittliche Lebenserwartung kommen wir mit 80,7 Jahren EU-weit nur auf Platz 18. Die Eidgenossen wiederum auf 83,4 Jahre.“
Effizientere Resources-Verwendung angemahnt
Jeden Euro in mehr Gesundheit ummünzen
So offensichtlich viel Geld ausgegeben wird, so unbestreitbar landet es häufig nicht da, wo es Patienten am meisten nutzt. Hier gibt es sowohl bei den Kassen wie bei den Leistungserbringern ein Veränderungspotenzial. Auf einen einfachen Nenner gebracht verfolgen Ärzte und Krankenhäuser ihre betriebswirtschaftlichen Ziele ohne einer umfassenden, bundesweit abgestimmten, bedarfs- und qualitätsorientierten Kontrolle unterworfen zu sein. Die Folgen macht die Bertelsmann-Studie klar; „Klinikärzte stehen im Arbeitsalltag unter Druck, Unternehmensziele mit dem Patientenwohl in Einklang zu bringen“, heißt es da. „Im ambulanten Bereich beeinflussen individuelle Einkommens- oder Renditenziele die selbstständigen und angestellten Ärzte in ihren medizinischen Entscheidungen.“
Der Kostendruck wächst
Teure Therapien und soziale Medien
Der Handlungsdruck, Streuverluste zu minimieren, wird künftig noch zunehmen. Wie die Studie „Zukünftige Entwicklung der GKV- Finanzierung" des IGES Instituts in Auftrag der Bertelsmann-Stiftung (BS) klarlegt, steigen die Krankheitskosten vornehmlich durch neue Therapie-Ansätze. "Die Zeiten eines gleichlaufenden Zuwachses von Einnahmen und Ausgaben sind vorbei“, warnt Vorstandsmitglied Brigitte Mohn. Die Gesundheitspolitik hat jetzt noch Zeit, die ihr zur Verfügung stehenden Mittel rechtzeitig zu nutzen, bevor die Finanzschere weiter auseinandergeht," stellt unser BS-Vorstandsmitglied Brigitte Mohn fest. Wie das Ärzteblatt berichtet, sehen sich bereits heute die Kassen unter Druck, hierzulande noch nicht zugelassene Gentherapien zu bezahlen. „Ein Beispiel ist die spinale Muskelatrophie mit Zolgensma (interner Link), deren Behandlung zwei Millionen Euro pro Patient kosten soll“, erläutert Thomas Adolph. Die Kassen haben sich bereits an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gewandt. Es könne nicht angehen, dass angesichts der „erheblichen Renditen“ durch neuartige Therapien über Medienkampagnen massiver Druck auf Kassen und Ärzte entfaltet werde, solche Medikamente zu Lasten der Versichertengemeinschaft vorab einzusetzen, heißt es in dem Schreiben.
Studie Überversorgung der Bertelsmann Stiftung vom November 2019 (Quelle: www.bertelsmann-stiftung.de)
Policy Brief der Monopolkommision zum Entwurf des Faire-Kassenwettbewerb-Gesetzes vom November 2019 (Quelle: www.monopolkommission.de)
Entwurf des Faire-Kassenwettbewerb-Gesetzes (Quelle: www.bundesgesundheitsministerium.de)
Zolgensma-Beitrag in der Deutschen Apotheker-Zeitung vom 28. November 2019 (Quelle: www.deutsche-apotheker-zeitung.de)