Während der WHO Gesundheitsbericht mit Zahlen ähnlich sorglos umgeht wie mit territorialen Zuordnungen sind der Alkoholatlas 2017 des Deutschen Krebsforschungszentrums und das Jahrbuch Sucht 2018 der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen akribisch recherchiert. Wie Thomas Adolph vom führenden Vergleichsportal www.gesetzlichekrankenkassen.de. ausführt, wurden laut DHS im Jahr 2016 22.309 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 10 und 20 Jahren aufgrund eines akuten Alkoholmissbrauchs stationär behandelt. Adolph: „Während der gesamte Konsum leicht zurückgeht, zeigt sich hier ein Anstieg von 1,8% zum Vorjahr.“ Insgesamt sei in diesem Jahr die Diagnose „Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol (F 10)“ die zweithäufigste Hauptdiagnose in Krankenhäusern gewesen (322.608 Behandlungsfälle nach DHS-Zahlen). Mit 234.785 alkoholbedingten Ausfällen sei dies bei Männern sogar die häufigste Hauptdiagnose des Jahres 2016 gewesen.
Im Sog der Sucht: 3,4 Millionen
Außer Kontrolle geratene Alkoholiker in Deutschland
Auch die anderen Zahlen sind bestürzend: Repräsentativen Umfragen und Hochrechnungen des Statistischen Bundesamtes zufolge waren 3,38 Mio. Erwachsene in Deutschland von einer alkoholbezogenen Störung betroffen. „Davon werden 1,61 Millionen als missbräuchlicher oder allzu sorgloser Umgang eingestuft, weitere 1,77 Millionen als direkte Alkoholabhängigkeit“, erklärt der Kassenexperte. Zudem seien Jahr für Jahr 74.000 Todesfälle auf Alkoholkonsum oder den kombinierten Konsum von Tabak und Alkohol zurückzuführen. Dazu komme ein Anstieg der Kriminalität: 236 843 Tatverdächtige – also jeder fast zehnte – stand 2015 bei Straftaten unter einem offensichtlichen oder nach polizeilichen Ermittlungen wahrscheinlichen Alkoholeinfluss. Neben Widerstand gegen die Staatsgewalt fallen vor allem Sachbeschädigung und Gewalttaten alkoholisiert „leichter“.
Ein sündteures Laster
Rund 40 Milliarden Euro Ausfall
Der Alkoholatlas 2017 beziffert die direkten und indirekten Kosten des Alkoholkonsums 2016 in Deutschland auf fast 40 Milliarden Euro. Zusammengetragen hat sie der anerkannte Experte für die Gesamtschau Tobias Effertz, der auch ein Buch zu den Kosten gefährlichen Konsums veröffentlicht hat. Wie der Kassenexperte Adolph sagt, basiert die jetzt aktualisierte Berechnung auf den Krankheitskosten einer Stichprobe von Mitgliedern in einer gesetzlichen Krankenkasse, auf alkoholbedingten Ressourcenausfällen und zudem noch dem ausgezahlten Arbeitslosengeld. Über einen bestimmten Zeitraum wurden dazu Personen mit schädlichem Alkoholkonsum solchen ohne übermäßige Trinkfreude verglichen.
Von jährlich 39,30 Milliarden Euro entfällt ein Viertel auf direkte Kosten für das Gesundheitssystem (9,15 Milliarden). „Effertz rechnet mit rund 7,55 Milliarden Euro Krankheitsbehandlung, zu denen noch 760,03 Millionen Euro an Pflege- und 685,2 Millionen Euro an Rehabilitationskosten kommen“, erläutert Adolph die Effertz’ Rechnungsgrundlagen. „Dazu kommen noch alkoholbedingte Unfälle (53,99 Mio.) und der Wiedereingliederungsaufwand ins Arbeitsleben (101,27 Mio.).
Gelähmte Produktivität
Staat und Medien profitieren von Werbung und Steuern
Gut dreimal so hohe Kosten entstehen der Volkswirtschaft durch Produktivitätsverluste (30,15 Milliarden Euro). Ein weiterer Kostenfaktor sind Effertz zufolge die Sachschäden, die bei alkoholbedingten Verkehrs- und Arbeitsunfällen sowie durch mutwillige Beschädigung unter Alkoholeinfluss entstehen. Sie lagen zuletzt etwa bei 1,91 Milliarden Euro. In der Gegenrechnung zu den volkswirtschaftlichen Ausfällen stehen die Einnahmen des Staates aus alkoholbezogenen Steuern. Sie beliefen sich laut Jahrbuch Sucht 2016 auf 3,165 Mrd. Euro . Die Alkoholwerbung in TV, Rundfunk, auf Plakaten und in der Presse spielte im selben Jahr 557 Mio. Euro ein, dazu kommen, wie der Kassenexperte sagt, noch die Ausgaben für Sponsoring und die Werbung im Internet, die in diesen Zahlen noch nicht enthalten sind. Adolph: „Bereits der (unfreiwillige) Beitrag der Mitglieder von Kassen und privaten Krankenversicherern zum Abfedern dieser Volkskrankheit ist damit doppelt so hoch wie der gemein- und individualwirtschaftliche Nutzen.“
Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen DHS zum Alkohol-Konsum (Quelle: www.dhs.de)
Statista Hauptdiagnosen in ambulanten und stationären Suchthilfeeinrichtungen 2016 (Quelle: de.statista.com)
Siehe auch:
Zigarren, Schnaps und Wampe - Die Mängelliste des WHO Berichts zur europäischen Gesundheit 2018