Baustelle Ausbildung
Vereinfachte Zugangswege sollen Engpass erweitern
Die Ausgangsbasis ist nicht unproblematisch: „Pflegeberufe sind eine Domäne der Frauen und der Kurzarbeit“, berichtet Thomas Adolph vom führenden Vergleichsportal www.gesetzlichekrankenkassen.de. In der Krankenpflege stellten sie 2017 volle 81 Prozent der 1,04 Millionen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer, in der Altenpflege 84 Prozent der insgesamt 561.000 Beschäftigten. Geförderte berufliche Weiterbildung spielt daher in der Ausbildung von Altenpflegekräften eine wichtige Rolle. In den zurückliegenden zwei Jahren wurde laut Bundesagentur jede vierte Ausbildung auf diesem Weg initiiert. Das von seinem Vorgänger Hermann Gröhe geerbte Reformvorhaben der Koalition sieht vor, dass Alten- und Krankenpfleger gemeinsam die Schulbank drücken und sich erst im dritten Jahr spezialisieren oder als Generalisten zweigleisig abschließen. Sechs Jahre nach dem Start der staatlich verordneten Gleichmacherei soll dann geprüft werden, „ob für die gesonderten Berufsabschlüsse in der Altenpflege oder Gesundheits- und Kinderkrankenpflege weiterhin Bedarf besteht.“
Pflege ist eben nicht gleich Pflege
Kritiker bemängeln naive Gleichmacherei
Die Reform der Ausbildung sehen viele Experten ausgesprochen kritisch, berichtet Kassenexperte Adolph. Es sei für Insider schwer nachzuvollziehen, wie vielfältige Tätigkeitsprofile, die sich elementar unterscheiden, nach einer oberflächlichen Kategorisierung zusammengeführt werden sollen. „Sowenig Metzger, Koch und Bäcker ähnliche Tätigkeiten ausüben, obwohl alle drei in der Lebensmittelbranche aktiv sind, sowenig ähneln sich die Anforderungen an Altenpfleger und Kinderpfleger oder die an Krankenpfleger“, berichtet Adolph über das brancheninterne Unverständnis. Von Intensivpflege, OP-Assistenz und Hebammen ganz zu schweigen.
„Eine generalistische Pflegeausbildung wird Bewährtes zerstören“, warnt beispielsweise Dr. Stefan Arend. Für den Vorstand des Kuratoriums Wohnen im Alter passt das Konzept überhaupt nicht in eine Welt des langen Lebens. Er fragt sich, warum ausgerechnet die Altenpflegeausbildung sterben soll. Selbst nur Experte in einem Fachbereich, ist ihm schleierhaft, „wie es einer generalistischen Pflegeausbildung gelingen soll, die unterschiedlichen Lehrinhalte und Aufgabenbereiche der drei traditionellen Pflegeprofessionen in eine neue Ausbildung zu pressen: von der Begleitung von Dementen bis hin zur Pflege von Frühchen.“ Die neue Struktur werde der Pflege eine Struktur wie vor 50 Jahren verpassen während allenthalben neue Berufe und Studiengänge ins Leben gerufen werden, um diversen Spezialisierungen besser gerecht zu werden. Er verweist auf die erfolglose Einführung des G8 an Gymnasien. Wenn es nicht einmal gelingt, den entfallenden Lehrstoff eines Schuljahres auf acht verbleibende Schuljahre zu verteilen, wie soll dann die Kompression von drei tätigkeitsbezogenen Ausbildungsprofilen auf einen „verschlankten“ 08/15-Unterricht funktionieren.
Imagepflege oder Reform
Das Armenhaus Altenpflege lässt sich nicht en passant sanieren
Den Nagel auf den Kopf trifft der Pflege-Selbsthilfeverband in einem Offenen Brief, der bereits 2015 geschrieben wurde: „Die Befürworter versprechen sich von der Generalistik ein besseres Image, angemessene Bezahlung und demzufolge eine Zunahme derer, die den Pflegeberuf erlernen … Die Gleichstellung der drei Berufe, auch in der Bezahlung, hängt aber nicht vom Ausbildungsgang ab, sondern von den Rahmenvereinbarungen in den verschiedenen Einrichtungen. Pflegefachkräfte, die in Altenpflegeeinrichtungen arbeiten, verdienen dort – trotz Krankenpflegeexamen – genauso wenig wie ihre Kollegen mit einer dreijährigen Altenpflegeausbildung.
Die Bezahlung ist das entscheidende Handicap sagt auch Adolph. Es sei auch ein wichtiger Marktmechanismus: „Ohne werten zu wollen: Bisher erschwerte der unterschiedliche Ausbildungsgang und das unterschiedliche Niveau einen Wechsel zwischen den Berufsgruppen. Fällt diese Sperre weg, wird sich der Trend hin zu sozial höher angesehenen und auch lukrativer bezahlten Arbeiten deutlich verstärken.“ Denn zwischen Alten- und Krankenpflegekräften klafft ein tiefes Loch in der Bezahlung. Das mittlere Bruttoentgelt in Vollzeit beschäftigter Krankenpfleger lag laut Bundesagentur für Arbeit 2016 mit monatlich 3.205 Euro pro Monat über dem aller Fachkräfte (2.891 Euro). Das mittlere Bruttoentgelt ebenso eingespannter Altenpflegefachkräfte war mit 2.624 Euro hingegen deutlich geringer. Entsprechendes zeigt sich auch bei Pflegehelfern: das mittlere monatliche Bruttoentgelt von Krankenpflegehelfern betrug 2.466 Euro, das von Altenpflegehelfern bei 1.870 Euro (alle Hilfsberufe: 2.133 Euro).
Darüber hinaus gibt es regionale Unterschiede in der Bezahlung. Wie Gernot Kiefer, der für diesen Bereich zuständige Vorstand im GKV Spitzenverband schreibt, liegt das mittlere Bruttoentgelt der Fachkräfte in der Altenpflege in Ostdeutschland mit 2.211 Euro knapp 20 Prozent unter demjenigen in Westdeutschland mit 2.737 Euro (zum Vergleich: Fachkräfte in der Krankenpflege erhalten dort im Mittel 11,6 Prozent weniger als im Westen). Dies gilt auch für die Helferberufe: Altenpflegehelfer in Ostdeutschland verdienen im Schnitt 1.662 Euro und damit gut ein Sechstel (minus15,1 Prozent) weniger als im Westen. Bei Helfern in der Krankenpflege sind es sogar 23 Prozent weniger. Hier liegt der mittlere Verdienst im Osten bei 1.999 Euro, im Westen bei 2.598 Euro. Kiefer: Angesichts der strukturellen Gehaltsunterschiede könne es nicht verwundern, „dass zu Lasten der Altenpflege eine Sogwirkung hin zur finanziell attraktiveren Tätigkeit in der Krankenpflege besteht.“
Adolph erwartet, dass man dem Altenpfleger-Schwund nur mit einer finanziellen Anreizstruktur begegnen kann. „Es ist ja nicht so, dass in der normalen Krankenpflege ein Überangebot an Arbeitskräften bereitsteht. Im Gegenteil, die Stationen sind häufig unterbesetzt und selbst das spärliche Angebot kann nur bereitgestellt werden, weil man seit 2013 aus dem Ausland 68.000 Pfleger abgeworben hat (37.000 für die Krankenpflege, 31.000 für die Altenpflege).“
Das Füllhorn ausschütten
Mit dem Geld der Kassen gegensteuern
Der Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, will Fachkräften Geldprämien zahlen, wenn sie in ihren Beruf zurückkehrten oder ihre Arbeitszeit spürbar aufstockten. Das berichtet die Rheinische Post unter Berufung auf ein Positionspapier des Pflegebeauftragten. "Ich will die Vertrauenskrise in der Pflege beenden. Die Pflegekräfte müssen spüren, dass wirklich etwas geschieht, um die dramatische Personalsituation in Pflegeeinrichtungen und Kliniken zu verbessern", sagte Westerfellhaus der Zeitung. "Sie sollen einmalig bis zu 5.000 Euro steuerfrei erhalten. Pflegefachkräfte, die direkt nach ihrer Ausbildung in eine Festanstellung gehen, sollen eine Prämie von 3.000 Euro erhalten", sagte Westerfellhaus. Auch Betreiber von Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern, die zusätzlich Fachpersonal einstellen, sollten pro Kopf eine Prämie von 3.000 Euro erhalten, heißt es weiter.
Artikel im Ärzteblatt vom 29. Juni 2018 (Quelle: www.aerzteblatt.de)
Stellungnahme des Vorstands des Kuratoriums Wohnen Stefan Arend (Quelle: www.kwa.de)
Offener Brief des Pflege-Selbsthilfeverbands vom Oktober 2015 (Quelle: pflege-prisma.de)
Beitrag „Kraftakt für alle Beteiligten“ von Gernot Kiefer (Quelle: gkv-spitzenverband.de)
Artikel in der Rheinischen Post vom 17. Mai 2018 (Quelle: rp-online.de)