Vorne hui und hinten pfui – die Ergebnisse der Koalitionsgespräche dürften langfristig zu nicht unerheblichen Probleme führen. Schon die Rückkehr zur paritätischen Entrichtung der Krankenkassenbeiträge klingt gut, „sie verringert aber den ohnehin schon weitgehend blockierten oder regulatorisch verzerrten Wettbewerb zwischen den Anbietern“, urteilt Thomas Adolph vom führenden Vergleichsportal www.gesetzlichekrankenkassen.de. Wenn Arbeitgeber und wieder denselben Betrag und künftig ebenso eventuelle Erhöhungen bezahlen, dürfte wohl der Zusatzbeitrag als Unterscheidungsmerkmale zwischen den gesetzlichen Kassen entfallen, erwartet der Kassenexperte. Die Einsparung bei den Mitgliedern von etwa 7,4 Milliarden Euro bedeutet aber Mehrkosten für die Arbeitgeber von 6 Milliarden Euro. Rund 1,4 Milliarden Euro muss die Rentenversicherung schultern, die hälftig die Beiträge der Ruheständler tragen muss. Das hat volkswirtschaftliche Konsequenzen, welche die IW-Ökonomen untersucht haben. Sie erwarten, dass bereits 2028 die deutschen Exporte um 1,2 Prozent unter dem Niveau liegen, das sie ohne die Abschaffung des Zusatzbeitrags haben könnten. Zudem fiele das Bruttoinlandsprodukt um 0,4 Prozent niedriger aus, die Erwerbslosenquote um 0,8 Prozentpunkte höher und die Verbraucherpreise übertreffen ihr sonst veranschlagtes Niveau sogar um 3,6 Prozent. Lediglich der private Konsum würde mit 0,5 Prozent Plus höher ausfallen, denn die Unternehmen werden gestiegene Kosten erwartungsgemäß auf die eine oder andere Art an die Verbraucher zurückdelegieren. Es ändern sich dadurch letztlich nur der Namen und der Verteilungsschlüssel der Gesundheitskosten.
Augenwischerei bei der Pflege
Den Status quo als Erfolg verkauft
Da die potenzielle neue Regierung keine andere als die alte ist, muss sie sich die Kritik an der vor einem Jahr eingeführten Pflegereform anrechnen lassen. „Sie bringt deutlich weniger, als von der Bundesregierung behauptet", sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, in Berlin. Wie die Ärztezeitung berichtet, habe es Brych zufolge zwar Ende 2017 351 000 Leistungsbezieher mehr als im Vorjahr gegeben. Doch mit 241 000 Betroffenen sei laut Bundesgesundheitsministerium der größte Teil davon in den leistungsärmsten neuen Pflegegrad 1 eingestuft worden. Das Urteil der Medizinischen Dienste der Krankenversicherung (MDS) betonte einen positiven Aspekt: Mehr Menschen hätten früheren und besseren Zugang zu den Leistungen bekommen, sagte der MDS-Geschäftsführer Peter Pick.
Effekthascherei bei den Pflegekosten
Viel versprochen, aber wenig Effekt
Die in den Koalitionsgesprächen vereinbarte Begrenzung der Pflegekosten auf die Spitzenverdiener ist allerdings nach Ansicht von Experten nur Augenwischerei: „Der Beschluss von Union und SPD ist reine Symbolpolitik", kritisiert Eugen Brysch. ,,Die wenigsten Kinder müssten später für die Pflege ihrer Eltern zahlen. Denn großzügige Freibeträge bei der Ermittlung des belastbaren Einkommens führen schon heute dazu, dass die Kommunen und damit die Steuerzahler den allergrößten Teil der Hilfe zur Pflege bezahlen. Wie die Zeitung „Die Welt“ in einem ausführlichen Artikel zum Thema schreibt, zählt nur das bereinigte Einkommen, bei dem alle Steuern und Sozialabgaben, berufsbedingte Kosten, Aufwendungen für die private Altersvorsorge, für Zinsen oder Tilgung einer Hypothek und Unterhaltszahlungen an Kinder abgezogen werden. Danach wird noch ein monatlicher Schonbetrag von 1800 Euro bei Alleinstehenden oder 3240 Euro bei Familien berücksichtigt. Und nur vom Rest kann das Sozialamt die Hälfte einfordern. „Die Koalitionäre wollen sich für eine große Entlastung feiern lassen, die tatsächlich nur ganz wenigen Menschen betrifft“, resumiert daher Stiftungsvorstand Brysch.
Pflegenotstand gesetzlich abgeschafft?
Woher nehmen und nicht stehlen
Ähnliches gilt für das sogenannte Sofortprogramm mit 8.000 zusätzlichen Altenpflegekräften. Abgesehen davon, dass es in der Pflege – Stichwort Pflegenotstand – bereits jetzt nicht ausreichend viele Arbeitskräfte gibt, bedeutet die plakative Zahl 8000 heruntergebrochen auf die Zahl der Einrichtungen weniger als eine zusätzliche Fachkraft pro Pflegeheim – und das auf Kosten der Heimbewohner, die die medizinische Behandlungspflege überwiegend selbst aufbringen müssen“, kritisierte entsprechend auch die Pflegeexpertin der Grünen, Kordula Schulz-Asche im Handelsblatt. Die Grünen forderten 50.000 zusätzliche Stellen im Krankenhaus und in der Altenpflege vor. Bleibt offen, woher nehmen und nicht stehlen – bereits heute wird qualifiziertes Personal händeringend gesucht. Dazu kommen die Kosten: Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierte die Pläne von Union und SPD daher als „Silvesterfeuerwerk“. Bereits die sofort herbeigezauberten 8 000 Pflegekräfte zusätzlich bedeuten für die Pflegekassen Mehrausgaben von 280 Millionen Euro.
Sozialversicherungen: Zur Kasse, bitte! (Quelle: www.iwd.de)
Ein Jahr Pflegereform – eine gemischte Bilanz (Quelle: www.aerztezeitung.de)
MDS-Geschäftsführer Peter Pick „Ein Jahr Pflegereform“ (Quelle: www.mds-ev.de)
„Die Angst vor der teuren Pflege“ (Quelle: www.welt.de)