
Machtpolitik ist das eine, Wählerwillen das andere. Dass jetzt die von den Wählern abgekanzelte SPD den Machterhalt der früheren Kanzlerin an die Einführung der Bürgerversicherung koppeln will, ist daher hochgradig suspekt. Das angestrebte Einheitsmodell jedenfalls ist keine zwangsläufige Fortentwicklung des bestehenden Gesundheitssystems, es wird mittlerweile als Rückschritt betrachtet. Selbst in den Ländern, die vergleichbare Systeme bereits haben, ist der Lack an diesem Zukunftsmodell weitgehend ab. „Das kann man wunderbar am Musterland Schweiz ablesen“, berichtet Thomas Adolph vom führenden Vergleichsportal www.gesetzlichekrankenkassen.de. Die Kosten steigen beachtlich und von dem früheren Optimismus sei wenig übrig geblieben. Wie der Kassenexperte sagt, analysieren „mittlerweile unsere Nachbarn im Südwesten alle Krankenversicherungssysteme in Europa, darunter mit wiedererwacht großem Interesse das zweigliedrige deutsche System.“ Thomas Adolph zufolge sei speziell die Kostendämpfung innerhalb der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für die Schweizer von Interesse. Auch der hier erfolgende Risikostrukturausgleich werde – trotz einiger Schwachstellen – neben dem Arzneimittel-Verschreibungs-System in den Niederlanden von den eidgenössischen Gesundheitsplanern genauestens studiert.
Hochgradig politisch aufgeladen
Wenig Tiefgang bei der Gesundheitsökonomie
Der Plan die Bürgerversicherung als Positionierungshilfe aus dem Hut zu zaubern, trifft auf heftige Kritik. Besonders markant geißelt die Frankfurter Zeitung unter dem Stichwort „Linker Restposten Bürgerversicherung“ das Vorhaben als einzige Notlösung, auf Kosten anderer ein soziales Profil zu demonstrieren, das Angela Merkels Regierungspartei bisher noch nicht usurpiert hat. Nicht viel besser kommt das Vorhaben in einem „Neue Fahrlässigkeit“ betiteltem Leitartikel in der Welt weg. Dorotheas Siems nimmt kein Blatt vor den Mund: Ein solcher Ansatz muss „in Zeiten des demografischen Wandels die ohnehin gravierenden Finanzierungsprobleme im Gesundheitswesen zusätzlich verschärfen. Fahrlässiger kann Sozialpolitik nicht sein.“
Neue Fahrlässigkeit (Quelle: www.welt.de)
Die Aufschreie unter den Betroffenen lassen entsprechend nicht auf sich warten. Dass die private Krankenversicherung sich nicht widerstandslos abschaffen lässt, ist selbstverständlich. „Allerdings sind auch die Gesetzlichen Kassen nicht gerade scharf auf einen Alleinvertretungsanspruch“, ergänzt Thomas Adolph. Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, beispielsweise habe gewarnt, dass eine Bürgerversicherung kein einziges Problem in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) löse. Auch Hartmannbund und Hausärzteverband haben nicht an Kritik gespart, so der kritische Marktkenner.
Bürgerversicherung löst keine Probleme (Quelle: www.kbv.de)