Jetzt wird’s ernst. Die erste Krankenkasse wurde wegen des Verdachts der Diagnose-Optimierung überprüft. Wie die deutschen Wirtschaftsnachrichten mit Bezug auf die Rheinische Post berichten, haben die Untersuchungen bereits am 27. September 2017 in Hamburg und Düsseldorf stattgefunden. Laut Nachrichtenagentur AFP berichtete die damit befasste Oberstaatsanwältin Nana Frombach: „Hierbei wurden insgesamt 86 Kartons Beweismittel sichergestellt, die nun ausgewertet werden müssen.“ Die betroffene Kasse bestätigte die Razzia, weist jedoch "jeglichen strafrechtlichen Vorwurf entschieden zurück." Es sei lediglich um ein mit der Aufsichtsbehörde abgestimmtes Verfahren zur Sicherstellung korrekter Krankheits-Codierungen gegangen.
Razzia in AOK-Zentralen (Quelle: deutsche-wirtschafts-nachrichten.de)
Verdacht auf Betrug (Quelle: rp-online.de)
Mittelvergabe aus dem Gesundheitsfonds
Schwachstellen in der Zuweisung
Hintergrund der Überprüfung ist die Organisation des Finanzausgleichs zwischen den gesetzlichen Kassen. „Dieser komplizierte Mechanismus wurde entworfen, damit Kassen mit älteren und kränkeren Mitgliedern, die zwangsläufig höhere Ausgaben verursachen, mit Kassen konkurrenzfähig bleiben können, die vornehmlich junge und gesunde Mitglieder haben“, erklärt Thomas Adolph vom führenden Vergleichsportal www.gesetzlichekrankenkassen.de den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich" (Morbi-RSA). Organisiert wird der Zahlungsausgleich über den Gesundheitsfonds. Er ist die Sammelstelle der Kasse, in den anfangs alle Beiträge fließen, um dann von dort aus umverteilt und zugewiesen zu werden. Das Ausgleichssystem umfasst derzeit 80 ärztliche Diagnosen von Sepsis bis Status nach Organtransplantation (inkl. Komplikationen), darunter auch Aids, Diabetes, Essstörungen oder Depressionen.
„Die Höhe der Zuweisungen hängt von den kodierten Daten ab, welche die Leistungserbringer an die Kassen melden“, erklärt Adolph weiter. „Je direkter sie zu den erfassten Befunden passen, umso stärker werden solche Befunde erfasst.“ Es liege daher im Interesse der Kassen, diese Kodierungen möglichst korrekt zu erhalten. Das Rad sollen aber einige Anbieter deutlich überdreht haben. Deshalb gab es bereits vor einem Jahr eine große Debatte darüber.
Neue Studie zeigt wenig Unrechtsbewusstsein
Einzelne Kassen optimieren weiterhin die Kodierungen
So heißt es in einem Gutachten, das die DocCheck Medical Services GmbH erstellte: Die Befragung von 1.000 vertragsärztlich tätigen Leistungserbringern im Zeitraum von 31.8. bis 20.10.2017 ergab, „dass die überwiegende Mehrheit (82,0 %) bereits Vorschläge von Krankenkassen zur Diagnosekodierung erhielt.“
Auch nach Inkrafttreten des Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetzes sind in dem Zeitraum der Befragung, der nur rund zwei Quartale umfasst, bereits wieder 18,2 % der befragten Ärzte zur Diagnosekodierung vonseiten der Krankenkassen beraten worden. Die Ergebnisse zeigen, dass die Kodierberatungen insbesondere im Bereich der Volkskrankheiten erfolgen.
Mit einem Rundschreiben wies das BVA bereits im Dezember 2016 darauf hin, dass „Einzelbestimmungen in Verträgen, wonach Verdachtsdiagnosen mit Zusatzkennzeichen „G“ kodiert werden sollen, auch wenn die Diagnose nicht tatsächlich gesichert ist, [...] rechtswidrig“ sind (BVA, 2016)
Zwar wurden nach Einführung des HHVG weniger Ärzte persönlich zur Diagnosekodierung beraten, jedoch nahm bei Ärzten, die Vorschläge zur Diagnosekodierung erhielten, die relative Bedeutung von Beeinflussungen durch informationstechnische Systeme / Praxissoftware seit April 2017 zu. Gemäß HHVG ist jedoch auch diese softwaregestützte Kodierberatung untersagt."
Es soll zunehmende Bestrebungen der Krankenkassen gegeben haben, möglichst viele Morbi-RSA-Diagnosen vorweisen zu können, um an die entsprechenden Gelder zu gelangen. In diesem Zusammenhang prüfen wir mögliche betrugsrelevante Täuschungshandlungen ", sagte die Staatsanwältin.