Das Tauziehen um die voraussichtliche Höhe des Zusatzbeitrags in den kommenden Jahren hält an. Es ist Wahljahr in Deutschland – und 72 Millionen über die gesetzlichen Kassen abgesicherte Bürger sind keine Klientel, die man vorschnell verprellen darf. Erfolgsmeldungen machen stutzig, zumal laut Ärzteblatt noch im April Uwe Klemens immerhin Verwaltungsratschef des GKV-Spitzenverbandes für die kommenden drei Jahre einen Zusatzbeitrag von 1,8 bis zwei Prozent prognostiziert und dafür jährliche Zusatzausgaben von vier bis fünf Milliarden unter anderem durch neue Gesetze zur Pflegestärkung, Veränderungen in der Arzneimittelver¬sorgung und das Krankenhaus-Strukturgesetz als potenzielle Ursachen genannt hatte. Kurz darauf hatte im Mai das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) die IW Konjunkturprognose Frühjahr 2017 veröffentlicht und darin ebenfalls ein Zwei-Milliarden-Loch in den GKV-Finanzen vorhergesagt, das sich im Folgejahr sogar auf über fünf Milliarden Euro vergrößern werde.
Zusatzbeitrag soll 2017 nicht erhöht werden
Fast alle Krankenkassen leisten Wahlhilfe
Jetzt wird plötzlich Entwarnung gegeben: Die Kosten der Krankenkassen liegen unter Plan, Vollbeschäftigung und gute Wirtschaftslage lassen die Beitragsgelder sprudeln, berichtete Anfang Juli vollmundig die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ). Nach einer FAZ-Umfrage unter den Kassen werde nirgends mehr mit großen Sprüngen beim Zusatzbeitrag gerechnet. Sowohl der AOK-Chef Martin Litsch wie seine Kollegen Jens Baas und Christoph Straub der zwei größten Krankenkassen TK und Barmergaben an, dass sie aktuell mit stabilen Beitragssätzen kalkulieren würden. Straub zufolge werde es 2017 beim durchschnittlichen Zusatzbeitrag über alle Kassen hinweg kaum Bewegung geben. „Der Alarmismus so mancher vermeintlicher Experten hat sich nicht bewahrheitet“, beschwichtigte entsprechend auch Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe, der den Kassen im Wahljahr einen 1,5 Milliarden Euro schweren Zuschuss aus dem Gesundheitsfonds gegönnt hatte, in den RuhrNachrichten.
Experten bleiben dennoch skeptisch
Langfristiger Druck auf den Zusatzbeitrag bleibt
„So erfreulich diese Nachricht für die Kassenmitglieder wäre, so vorsichtig sind solche Vorhersagen zu genießen. Eine kurzfristige Entwarnung muss nicht dauerhaft zu einem gleichbleibenden Zusatzbeitrag führen“, warnt daher Thomas Adolph vom führenden Vergleichsportal www.gesetzlichekrankenkassen.de. Noch vor kurzem erst habe das Bun¬des-ge¬sund¬heits¬mi¬nis¬ter¬ium (BMG) selbst übereilten Schät¬zun¬gen und Hochrechnungen eine Abfuhr erteilt. „Seriöse Aussagen zur Finanzentwicklung der Krankenkassen im Jahr 2017 seien erst nach Vorliegen der Zahlen des Schätzerkreises Ende Oktober möglich“, habe das Ministerium verlauten lassen. Adolph habe daher seine Unternehmen www.gesetzlichekrankenkassen.de und www.krankenkassenkompass.de/ vorsichtshalber auf beide Optionen – gleichbleibende und steigende Zusatzbeiträge – vorbereitet und die Bearbeitungskapazität der neutralen Vergleichs- und Wechselunterstützung erweitert.
Adolph zufolge sind die jüngsten Erfolgsmeldungen zumindest zu relativieren. Gemessen an den Gesamtausgaben der GKV sind selbst millionenfache Einsparungen und milliardenschwere Rücklagen kein Grund zur Entwarnung. „Zuletzt gaben die gesetzlichen Krankenkassen (2016) für ihre Mitglieder und Versicherten mit 222,8 Milliarden Euro das dreizehnfache ihrer aktuellen Reserven aus“, beziffert Adolph das tatsächliche Größenverhältnis. Zudem beziehen sich die aktuellen Aussagen nur auf die Zahlen zum ersten Quartal 2017, die gerade offiziell vom Bun¬des¬ge¬sund¬heits¬mi¬nis¬ter¬ium veröffentlicht wurden. Demnach sind die Finanzreserven innerhalb der GKV etwas auf 16,7 Milliarden Euro gestiegen, weil die Kassen von Januar bis März 612 Millionen Euro mehr eingenommen haben, als sie ausgeben mussten. Der Gesundheitsfonds dagegen hat aktuell – laut BMF saisonbedingt – um rund 2,5 Milliarden weniger im Säckel als zum Jahresbeginn (9,1 Mrd.). Insgesamt betragen die Liquiditätsreserven von Gesundheitsfonds und Kassen am Ende des ersten Quartals demnach 23,3 Milliarden statt der für Ende 2016 gemeldeten Gesamtreserve von 25 Milliarden Euro.
Reserve-Zuführungen unterschiedlich verteilt
AOK-Gruppe legt zu, Ersatzkassen und BKK verlieren
Die Quartalsüberschüsse (Q1/2017) fielen allerdings bei den verschiedenen Kassenarten sehr unterschiedlich aus. Laut Ärzteblatt konnten die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ihre Reserven statt um 72 nunmehr um 361 Millionen Euro ausbauen, Ersatzkassen wie BARMER, Techniker Krankenkasse oder DAK Gesundheit gehören, kamen nur auf ein Plus von 155 Millionen Euro. Im Vorjahr waren es noch 206 Millionen gewesen. Auch den Betriebskrankenkassen ist nicht gerade zum Jubeln zumute: Ihre Überschüsse schrumpften von 38 Millionen auf 30 Millionen Euro. Noch enger wurde es für die Innungskassen, deren Überschüsse sich halbierten (17 Mio.). Die Knappschaft konnte ihre Reserven dagegen leicht erhöhen (58 Mio.).