Im Bereich der Pflege werden Wohltaten verteilt, die Nebenwirkungen und Kosten aber kaum thematisiert. „Die Auswirkungen der unterschiedlichen Bausteine auf den Fachkräftemarkt wird heillos unterschätzt“, sagt Thomas Adolph vom führenden Vergleichsportal www.gesetzlichekrankenkassen.de. „Die Ausweitung beschränkt sich nicht auf 1,6 Millionen Demenzkranke, auch die im Pflegestärkungsgesetz III verfügten Beratungstellen und Pflegestützpunkte sind ohne erfahrenes oder zumindest gut ausgebildetes Fachpersonal nicht leistungsfähig.“ Es lohne sich daher ein Blick auf die aktuelle Arbeitsmarkt-Situation für Pflegekräfte. Und die verpasse der Euphorie über eine künftig bessere Versorgung einen gehörigen Dämpfer. „Neben der zu befürchtenden Kostenexplosion kann die Umsetzung durch die Personalsituation nicht reibungslos gelingen“, fürchtet der Kassen-Experte Adolph, das Pflege-Thermometer 2016 des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung (dip) in Köln lasse keinen anderen Schluss zu.
Jeder Pflegedienst braucht statistisch gesehen drei Mitarbeiter mehr. Neues Leistungsansprüche verschärfen den Fachkräftemangel
Der Studienleiter des Pflege-Thermometers 2016, Dr. Michael Isfort, hatte unter anderem bemängelt, dass es Mitte 2016 bereits rund 21.000 bis 37.000 offene Stellen gegeben habe. „Bei angenommen 13.000 ambulanten Diensten in ganz Deutschland fehlen also bis zu 3 Vollkräfte pro Pflegedienst oder monatlich 330 Netto-Pflegestunden pro Pflegedienst“, lautet die Bestandsaufnahme.
Doch auch in der stationären Betreuung steht nicht alles zum besten. Dort fehlten 2016 bereits 160.000 Kräfte berichtet die auf den Pflegebereich spezialisierte Karla Kämmer Beratungsgesellschaft. Die bereits bestehende Überlastung sei enorm, eine Umfrage des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK) habe ergeben, dass jeder zweite Befragte ein bis zwei zusätzliche Schichten pro Monat übernehmen musste, ein weiteres Drittel sogar bis zu 5 Schichten. Jeder zehnte muss sogar wöchentlich für eine Schicht zusätzlich einspringen. Zudem habe der Arbeitsdruck enorm zugenommen. Er sorge dafür, dass nicht einmal die gesetzlich vorgeschriebene Pausen eingehalten werden können und dass mittlerweile viele Fachkräfte ihre „freien Tage und den Urlaub als unentgeltliche Rufbereitschaft empfinden“.
Nachwuchssorgen durch miserables Berufsimage
Stationäre Pflege verliert an Bedeutung
Experten im Pflegebereich sind sich einig, dass das schlechte Image des Berufs Altenpfleger verhindert, dass sich diese Personallücke „qualifiziert“ schließen lässt. Die Beratungsexperten von Karla Kämmer bemängeln zudem den politischen Grundsatz „ambulant vor stationär“. Dieser treibe bereits heute in der Pflegelandschaft seltsame Blüten, etwa die Ambulantisierung von Leistungen in stationären Einrichtungen. Zudem kämen die stationärer Versorgungsformen in Not. Ins gleiche Horn stoßen auch die Nutznießer. Die Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen e.V. (BIVA) fürchtet, „Da die Höhen der Personalschlüssel an die Pflegegrade und damit an die Pflegesätze gekoppelt sind, besteht die Gefahr, dass es etwa ab 2018 nach und nach zu einem Absinken der darüber generierten Planstellen kommt“, urteilt bereits im Vorfeld der Altenpflege-Experte Michael Thomsen. Ein spürbares Mehr an Personal-Stellen in der stationären Pflege werde durch das PSG II aber nicht refinanziert.
Zudem sei zu befürchten, dass der Sog in die ambulante Betreuung mit oftmals besseren Konditionen den Arbeitsmarkt belasten werde. Die verstärkte Abwerbung für die neuen Aufgabenbereiche durch PSG II und PSG III werde die Konkurrenz um die nötigen gut qualifizierten Fachkräfte enorm verschärfen und könne zu entsprechenden Engpässen in der Leistungserbringung führen.
Änderungen in der stationären Pflege (Quelle: www.pflegestaerkungsgesetz.de)
Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen (BIVA) (Quelle: www.biva.de)
Erste Einbußen in der stationären Pflege beklagt
Ungedeckte Personalkosten und überwälzter Anpassungsaufwand
Erste Einrichtungen berichten bereits über eine Versorgungslücke. Wie die Diakonie Bayern auf ihrer Jahrespressekonferenz am 6. Februar in Nürnberg beklagte, zeigen sich beim zweigrößten Wohlfahrtsverband des Bundeslands bereits die ersten Schwachstellen des neuen Pflegestärkungsgesetzes (PSG II). „Bei der Einstufung von Pflegebedürftigen in die neuen Pflegegrade wurden Fehler gemacht“, monierte Diakonievorstand Sandra Schuhmann. Die Einrichtungen hätten somit rechnerisch einen nicht refinanzierten Personalüberhang, der bei Fortbestand wohl nur mit Leistungskürzungen zu kompensieren sei. Einzelne Bewohner/-innen der Diakonie-Einrichtungen müssten auch mehr zahlen als vorher, „obwohl ihnen ein Besitzstand aus der Zeit vor dem PSGII zugesichert worden war“, wie Schuhmann sagte.
Zudem seien die Kosten, die mit der Einführung der neuen Regelungen insbesondere im ambulanten Bereich verbunden sind, nicht refinanziert. „Die Schulung unserer Mitarbeiter, die Beratung von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen – all das geht zu Lasten der Träger“, sagte Schuhmann stellvertretend für alle Leistungserbringer.
Regelungen des PSG II (Quelle: www.kv-media.de)
Jahrespressekonferenz der Diakonie Bayer (Quelle: www.diakonie-bayern.de)