Mitte Januar treffen sich in Paris die Gesundheitsminister aus über 35 OECD-Nationen und -Partnern, um über die Struktur der kommenden Gesundheitsreformen zu diskutieren. Der Interessenaustausch dieses hochkarätigen Forums soll auch Zuhörerfragen einbeziehen und basiert, zumindest was Europa angeht, auf der im Oktober vorgestellten Studie „Gesundheit im Blick: Europa 2016“. „Diese Arbeit gibt in bisher ungekannter Detailtiefe den aktuellen Status quo wieder“, sagt Thomas Adolph vom führenden Vergleichsportal www.gesetzlichekrankenkassen.de. „Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat hier zusammen mit der Europäischen Kommission über mehrere Jahre die Gesundheitssituation der Menschen in Europa erfasst und ausgewertet.“ Das Resume der über 200 Seiten langen Untersuchung sei beeindruckend: Mit mehr politischer Unterstützung der Gesundheitsvorsorge und einer effektiveren Gesundheitsversorgung in allen europäischen Staaten wären „hunderttausende von vorzeitigen Todesfällen und gleichzeitig erhebliche Wohlstandsverluste zu vermeiden“, argumentieren die Herausgeber.
Ministerkonferenz der OECD (Quelle: www.oecd.org)
Ungleichheit beseitigen, hohes Niveau sichern, Kostendruck begegnen OECD-Generalsekretär nennt drei Herausforderungen
Wie OECD-Generalsekretär Angel Gurría bei der Präsentation ausführte, gibt es in der EU zwar bereits deutliche Verbesserungen gegenüber dem früheren Zustand, es seien aber aktuell drei große Herausforderungen zu meistern: Der Umgang mit dem zunehmenden Kostendruck als Folge der steigenden Gesundheitskosten in alternden Gesellschaften; eine noch effizientere Behandlung von Krebs- und chronischen Erkrankungen und der Ausgleich des unterschiedlichen Versorgungsniveaus innerhalb der EU. So haben Gurría zufolge Menschen Westeuropa im Schnitt fünf Jahre länger zu leben als solche in Ost- und Zentraleuropa. “Viele Leben könnten gerettet werden, wäre der Behandlungsstandard in allen Ländern auf dem höchsten in der EU verfügbaren Niveau“, sagte der OECD-Generalsekretär.
Die Rede von Angel Gurría (Quelle: www.oecd.org)
Studie „Health at a glance Europe 2016“ (Quelle: www.oecd.org)
Die deutsche Pressemitteilung (Quelle: www.oecd.org, Link entfernt, da nicht mehr erreichbar)
Das Verbesserungspotenzial in Deutschland
Alkoholkonsum eindämmen, Effizienz erhöhen
Deutschland ist auf einem guten Weg. Mit Ausgaben von 11,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) lässt es sich die Gesundheit seiner Bürger im Durchschnitt soviel kosten wie außer ihm nur Schweden. Im Schnitt bringen es die EU-Staaten im Jahr 2015 nur auf 9,9 Prozent. Außerhalb der EU liegen nur die Schweizer Gesundheitskosten mit 11,5 Prozent noch etwas höher. „Die Kosten allein sind aber ein schlechter Indikator“, warnt Adolph vor zu viel Selbstzufriedenheit. „Die Versorgungsdichte ist sehr gut, es gibt aber Länder, die wie Slowenien, Zypern oder Finnland eine geringere Säuglingssterblichkeit aufweisen“, sagt er. „Dass bessere Überlebensraten bei Herzinfarkt oder eine bessere Prognose bei Gebärmutterhalskrebs in Ländern zu finden sind, die weniger Geld für die medizinische Betreuung ausgeben, stimmt zumindest nachdenklich.“
Beitrag in der Tageszeitung „Die Welt“ (Quelle: www.welt.de)
Kampftrinker, Raucher und Gemüse-Hasser
Schattenseiten der Gesundheit in Deutschland
Schlechte Daten gibt es auch in einzelnen Bereichen: Während im Schnitt jeder EU-Bürger jährlich zehn Liter reinen Alkohol trinkt, sind es in Deutschland 10,9 Liter – Litauen kommt auf 14 Liter pro Kopf und Jahr, Schweden und Italien dagegen nur auf sieben Litern. Problem sind die zunehmenden Exzesse, etwa innerhalb kurzer Zeit sehr viel Alkohol trinken. Mehr „Kampftrinken“ gibt es nur in vier europäischen Ländern als in Deutschland; Beim Rauchen führt Deutschland mit Platz 15 die schlechtere Hälfte der 28 EU-Länder an, Obst- und Gemüse sind in Deutschland so unbeliebt, dass es nur für den drittletzten Platz reicht.
Stabile Gesundheitskosten in Deutschland
Hohe Folgekosten durch Ineffizienzen im System
Inflationsbereinigt stiegen laut OECD-Studie die Ausgaben pro Kopf zwischen 2009 und 2015 um zwei Prozent jährlich. Sie folgten damit in Deutschland der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung. Ein anderes Bild zeigen die Folgekosten durch Mängel im Versorgungssystem. So erreichen nach OECD-Schätzungen die Kosten 21 Milliarden Euro oder 0,7 Prozent des BIP. In der gesamten EU sterben jährlich über 550.000 Menschen im Erwerbsalter vorzeitig an chronischen Erkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Diabetes oder Krebs. Neben der menschlichen Tragödie, die diese vermeidbaren Todesfälle bedeuten, entsteht laut OECD auch ein wirtschaftlicher Schaden, der auf 115 Mrd. Euro oder 0,8 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung beziffert werden müsse.